Folgendes reales Beispiel soll veranschaulichen, dass trotz vermeintlicher Einigung ein Kauf immer noch scheitern kann:
Eine Wohnung wird vom Eigentümer über einen Immobilienmakler zum Verkauf angeboten. Ein Interessent besichtigt die Wohnung und erklärt der Eigentümer bei dieser Gelegenheit nebenbei, dass eine freie Mietzinsbildung möglich ist (die in diesem Fall aufgrund der Berührung mit dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz dem Käufer nicht leicht erkennbar ist). In weiterer Folge legt der Käufer ein Kaufanbot, das vom Verkäufer angenommen wird. Beide Parteien gehen davon aus, dass über alle relevanten Punkte Einigkeit besteht und der Kauf erfolgreich abgeschlossen werden kann.
Im Zuge der Abwicklung (Kaufvertragserstellung) besteht der Käufer darauf, dass eine weitere gewährleistungsrechtliche Klausel in den Kaufvertrag aufgenommen wird. Konkret möchte der Käufer eine Zusicherung des Verkäufers, dass der Vertragsgegenstand der freien Mietzinsbildung unterliegt. Das Kaufanbot schweigt zu diesem Punkt. Der Verkäufer stimmt der Aufnahme dieser Klausel nicht zu, übermittelt dem Käufer jedoch die Bestätigung einer Behörde, aus der bei tiefergehender Recherche abgeleitet werden kann, dass eine freie Mietzinsbildung möglich sein sollte. Da bei Uneinigkeit über die Anwendbarkeit des freien Mietzinses in letzter Konsequenz eine Zuständigkeit der Gerichte gegeben ist, reicht dem Käufer die Bestätigung der Behörde nicht aus und weigert sich der Käufer, den Vertrag ohne diese weitere gewährleistungsrechtliche Klausel zu unterfertigen. Der Verkäufer gibt ebenfalls nicht nach – offenbar weil er sich selbst nicht ausreichend sicher ist. Der Kauf scheitert.
Jetzt geht es darum, welche nachteiligen Folgen für Käufer und Verkäufer und den sonst daran beteiligten Personen aus dem gescheiterten Kauf erwachsen und wer die Verantwortung dafür trägt. Im vorliegenden Fall einigten sich die Vertragsparteien über die wesentlichen Vertragsbestandteile. Der Kaufvertrag scheitert schlussendlich lediglich an einer Nebenbestimmung, weshalb sich nun die Frage stellt, ob solch ein „Dissens“ zum Vertragsrücktritt berechtigt, oder ob das Geschäft nicht bereits mit Unterzeichnung des Kaufanbotes zustande gekommen ist und kein Rücktritt mehr möglich ist.
Dissens
Ein Kaufvertrag wird oft bereits durch die Legung eines Anbots und dessen Annahme geschlossen. Damit der Vertrag zustande kommen kann, sind aber sich deckende Willenserklärungen der Vertragsparteien erforderlich (Konsens). Liegen solche übereinstimmenden Willenserklärungen nicht vor, spricht man von Dissens. Da die Parteien geglaubt haben, dass Einigkeit besteht, in Wahrheit aber über einen für beide Parteien wesentlichen Nebenpunkt Uneinigkeit bestanden hat, spricht man von einem „versteckten Dissens“.
Beide Parteien hatten somit ein unterschiedliches Verständnis über den Inhalt der von ihnen abgegebenen Erklärungen. Im Falle eines versteckten Dissenses gilt der Vertrag nur, sofern anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne Einigung über diesen Punkt geschlossen worden wäre. Trotz Uneinigkeit lediglich über einen Nebenpunkt ist im gegenständlichen Fall wohl kein Vertrag zustande gekommen, da nach dem hypothetischen Parteiwillen eben beide Parteien ohne Regelung dieser zusätzlichen Klausel keinen Vertrag abschließen wollten.
Somit stellt sich die Frage, wie sich das Nichtzustandekommen des Kaufvertrages auf die Ansprüche eines allenfalls beteiligten Maklers (Maklervertrag) und Rechtsanwaltes (Vertragserrichter) auswirkt.
Exkurs: Abgrenzung Irrtum und Dissens
In der Praxis ist die Abgrenzung zwischen Dissens und Irrtum (§ 871 ABGB) nicht immer einfach. Der Irrtum ist grundsätzlich eine Fehlvorstellung von der Wirklichkeit. Eine Vertragspartei hat also eine falsche Vorstellung über den Inhalt einer Willenserklärung oder über den Vertragspartner und dessen wesentliche Eigenschaften. Diese Willenserklärung wird dadurch zwar grundsätzlich nicht unwirksam, berechtigt aber in bestimmten Fällen dazu, die Folgen der irrtümlich abgegebenen Willenserklärung rückwirkend zu beseitigen.
Unterschieden wird zwischen einem wesentlichen und einem unwesentlichen Irrtum:
Ein wesentlicher Irrtum liegt vor, wenn über die Hauptsache oder eine wesentliche Beschaffenheit der Willenserklärung geirrt wird, das heißt, wenn der Vertrag ohne den Irrtum überhaupt nicht geschlossen worden wäre. Liegt ein unwesentlicher Irrtum vor, wäre der Vertrag, wenn auch in einer anderen Form, auch unter Kenntnis des Irrtums geschlossen worden. Es kommt dann zu einer Vertragskorrektur.
In weiterer Folge wird noch zwischen Geschäfts-, Erklärungs- und Motivirrtum unterschieden:
- Beim Geschäftsirrtum wird über den Inhalt des Vertrages geirrt, wie beispielsweise über die generelle Natur des Geschäftes oder auch über wesentliche Eigenschaften des Vertrages (z.B. über den Vertragspartner). Ob ein Irrtum infolge einer Aufklärungspflichtverletzung auch als Geschäftsirrtum anzusehen ist, ist strittig.
- Im Gegensatz zu einem Geschäftsirrtum kommt es zu einem Erklärungsirrtum, wenn eine Vertragspartei etwas anderes erklärt als sie tatsächlich erklären wollte. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist, ob die andere Vertragspartei auf die Erklärung vertraut hat oder nicht. Der Vertrag kommt vorerst gültig zustande, kann die irrende Vertragspartei den Vertrag jedoch anfechten bzw. anpassen.
- Ein Motivirrtum liegt vor, wenn sich der Irrende über den Beweggrund des Vertragsabschlusses, über die Eigenschaften des Vertragsgegenstandes – welche nicht Vertragsinhalt wurden – oder über sonstige außervertragliche Umstände irrt. Bei entgeltlichen Geschäften ist ein Motivirrtum jedoch unbeachtlich.
Als Faustregel gilt, dass dann von Dissens auszugehen ist, wenn eine Willenserklärung objektiv zweideutig ist, und von Irrtum, wenn eine Vertragspartei eine objektiv eindeutige Willenserklärung missversteht, d.h. über die Bedeutung und Rechtsfolgen der eigenen Erklärung irrt.
An diese Unterscheidung knüpfen sich wesentliche Rechtsfolgen: Liegt Dissens vor, kann sich jede Vertragspartei darauf berufen, dass der Vertrag gar nicht zustande gekommen ist (§ 869 ABGB), wohingegen bei Irrtum nur der Irrende das Geschäft anfechten kann und der Vertrag zunächst als zustande gekommen anzusehen ist (§ 871 ABGB).
Der Provisionsanspruch eines Maklers entsteht gemäß § 7 Abs 1 MaklerG grundsätzlich mit der Rechtswirksamkeit des vermittelten Geschäfts. Nach der aktuellen Judikatur ist der Provisionsanspruch insoweit vom Grundgeschäft abhängig, als er dann nicht gebührt, wenn das zu vermittelnde Geschäft nicht zustande kommt oder das Grundgeschäft aus wichtigen Gründen rückgängig gemacht wird (OGH 2Ob202/11m). Kommt es also zur erfolgreichen Anfechtung des Vertrages, wie z.B. Irrtum oder Dissens, entfällt die Provisionspflicht rückwirkend (ex tunc) mit der Aufhebung des Vertrages. Ebenso hat der Makler auch dann keinen Anspruch auf Provision, wenn das Grundgeschäft einvernehmlich rückabgewickelt wird.
Wird der Vertrag des Grundgeschäfts jedoch wegen einer Leistungsstörung, wie z.B. Zahlungsverzug, rückabgewickelt, ist der Provisionsanspruch gemäß der aktuellen Rechtslage dennoch entstanden.
TIPP: Will man einen bereits geschlossenen Vertrag rückabwickeln, ist immer darauf zu achten, dass die Möglichkeit der Geltendmachung eines Mangels noch nicht verjährt ist (bei beweglichen Sachen zwei Jahre, bei unbeweglichen Sachen drei Jahre).
Vertragserrichtungskosten:
In den meisten Fällen, wie auch im gegenständlichen Fall, wurden vor Rückabwicklung des Vertrages bereits Kosten für den erfolgreichen Vertragsabschluss aufgewendet. Vor allem die Kosten der Vertragserrichtung sind ein wesentlicher Faktor, der bei der Rückabwicklung eines Vertrages zu beachten ist.
Grundsätzlich sind diese Kosten von den Vertragsparteien zu tragen, denn die Leistung wurde vom Vertragserrichter bereits erbracht, weshalb diesem die Zahlung des vereinbarten Honorars zusteht.
Conclusio
Im gegenständlichen Fall liegt ein versteckter Dissens vor, denn mit Unterfertigung des Kaufanbots lagen zwar äußerlich übereinstimmende Willenserklärungen der Vertragsparteien vor, die jedoch in einem einander nicht entsprechenden Sinn verstanden wurden. Erst im Zuge der weiteren Verhandlungen kam hervor, dass die Vertragsparteien unterschiedliche Vorstellungen über den Inhalt des zu schließenden Vertrages hatten. Der Verkäufer stimmte der vom Käufer gewollten Klausel im Vertrag nicht zu, bot dem Käufer jedoch eine alternative Lösung an, ohne eine zusätzliche Klausel in den Vertrag aufnehmen zu müssen. Da der Käufer diese alternative Lösung nicht akzeptierte, konnte der Vertrag nicht geschlossen werden, da sich beide Vertragsparteien nicht über alle Punkte (unabhängig davon, ob es sich hierbei um wesentliche oder lediglich um Nebenbestimmungen handelt), einigen konnten.
Durch das unterfertigte Kaufanbot kam der Vertrag grundsätzlich zustande, weshalb der Vertrag durch die Nichteinigung rückabzuwickeln ist. Durch die Rückabwicklung des Kaufvertrages entfällt der Provisionsanspruch des Maklers rückwirkend, weshalb dieser keine Provision für das schlussendlich nicht zustande gekommene Geschäft verlangen kann.
TIPP: Die Aufnahme von gewährleistungsrechtlichen Regelungen bereits im Kaufanbot kann in manchen Fällen helfen, Unklarheiten über etwaige Zusagen überhaupt erst nicht aufkommen zu lassen.