Immer wieder stehen Gläubiger eines nichtzahlenden Schuldners vor der Entscheidung, ob sie neben den üblichen Eintreibungsmaßnahmen auch einen Insolvenzantrag stellen sollen. Dass diese dem Gläubiger gesetzlich eingeräumte Möglichkeit für diesen auch ein erhebliches Gefahrenpotenzial beinhaltet, ist weithin unbekannt. In dem kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) zu Gunsten meines Mandanten (insolvenzantragstellender Gläubiger) entschiedenen Fall (6 Ob 57/14x) hat der Gläubiger einer Forderung einen Insolvenzantrag gegen den Schuldner gestellt. Ohne auf die Details des Falles einzugehen, hat der Schuldner dem Gläubiger in weiterer Folge auf beträchtlichen Schadenersatz geklagt, der dem Schuldner aus der aus Sicht des Schuldners rechtsmissbräuchlichen Insolvenzantragstellung entstanden ist. Die ersten beiden Instanzen haben eine Rechtsmissbräuchlichkeit noch überraschend bejaht und dem Schuldner einen Schadenersatzanspruch zuerkannt. Erst der OGH hat sich meiner Argumentation angeschlossen und im vorliegenden Fall völlig zu Recht die Rechtsmissbräuchlichkeit und damit auch einen Anspruch auf Schadenersatz verneint.
Dieser sehr umstrittene Fall zeigt einmal mehr, dass jede Insolvenzantragstellung durch den Gläubiger im Vorfeld wohl überlegt werden sollte.
Stellung eines Insolvenzantrages durch den Gläubiger
Die gesetzliche Grundlage findet sich in § 70 Insolvenzordnung (IO). Demzufolge ist auf Antrag eines Gläubigers das Insolvenzverfahren unverzüglich unter anderem dann zu eröffnen, wenn der Gläubiger glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung hat und dass der Schuldner zahlungsunfähig (bei juristischen Personen, Verlassenschaften sowie Gesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist wie bei der GmbH & Co KG reicht auch bereits die Überschuldung) ist.
Das Vorliegen einer titulierten Forderung (z. B. gerichtliches Urteil) ist zwar nicht erforderlich, jedoch ist im Falle einer nicht titulierten Forderung an die Behauptung und die Bescheinigung der Forderung ein strenger Maßstab anzulegen. Das Insolvenzeröffnungsverfahren ist als Eilverfahren nicht dazu geeignet, den Bestand einer bestrittenen Forderung zu klären. Sollte es dem Schuldner somit gelingen, durch seine Bestreitung Zweifel am Bestand der Forderung zu wecken, die nur durch ein umfangreiches Beweisverfahren geklärt werden können, wird dem Gläubiger die Anspruchsbescheinigung nicht gelingen und ist der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzuweisen. Die Klärung des Bestandes der Forderung des Gläubigers ist vom Gläubiger auf dem streitigen Rechtsweg vorzunehmen.
Unter bestimmten Voraussetzungen wird ein vom Gläubiger gestellter Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der Rechtsprechung als rechtsmissbräuchlich qualifiziert.
Rechtsmissbräuchlicher Insolvenzantrag
Einleitend ist allgemein darauf hinzuweisen, dass es das Recht jeder Person ist, strittige Rechtsfragen durch Gerichte klären zu lassen, ohne mit einer abschreckenden Verantwortlichkeit für die Rechtsverteidigung belastet zu werden. Verfahrensrechtliche Handlungen machen nicht bereits dann ersatzpflichtig, wenn erkennbar sei, dass daraus Nachteile für die Güter der anderen Prozesspartei erwachsen könnten, sondern erst dann, wenn der eingenommene Prozessstandpunkt bei gehöriger Sorgfalt nicht bloß für zweifelhaft, sondern für aussichtslos gehalten werden musste. Dabei spricht die Vermutung dafür, dass die Anrufung des Gerichts gutgläubig erfolgt ist. Ein aus sachlichen Gründen geführter Prozess muss daher stets zulässig sein, die missbräuchliche Anrufung eines Gerichtes kann aber eine Schadensersatzpflicht begründen.
Im Zusammenhang mit einem vom Gläubiger gestellten Insolvenzantrag hat die Rechtsprechung diese allgemeinen Grundsätze konkretisiert und ausgesprochen, dass ein Insolvenzantrag rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn der Schuldner oder eine andere Person mit dem Insolvenzantrag ungerechtfertigt unter Druck gesetzt werden oder ein verfahrensfremder Zweck erreicht werden soll. Als Beispiele dafür nennt die Rechtsprechung
- den Versuch, Forderungen, die nicht unverzüglich glaubhaft gemacht werden können, für eine Konkurseröffnung heranzuziehen,
• den Versuch, eine strittige Forderung einzutreiben, sowie
• die Stellung des Insolvenzantrages nur deshalb, um die Unterbrechung des zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner bereits anhängigen Prozess zu erreichen.
Aus diesen Beispielen geht hervor, dass es für den Gläubiger höchst gefährlich ist, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn seine Forderung nicht zumindest unstrittig und wohl auch fällig ist und dem Gläubiger darüber hinaus nicht der Vorwurf gemacht werden kann, ungerechtfertigten Druck auszuüben oder verfahrensfremde Zwecke zu verfolgen. Dabei kann eine Forderung des Gläubigers auch dann als strittig eingestuft werden, wenn der Schuldner Gegenforderungen (sofern diese nicht völlig aussichtslos sind) einwendet und auf diesem Umweg die Forderung des Gläubigers wieder strittig (prozessverfangen) gemacht wird.
Auch in dem in diesem Beitrag bereits erwähnten von meiner Kanzlei auf Seiten des Gläubigers erfolgreich geführten Rechtsstreit (6 Ob 57/14x) waren Gegenforderungen des Schuldners ein zentrales Thema. In diesem Verfahren konnte der Gläubiger anfänglich eine unstrittige und fällige Forderung vorweisen. Die Besonderheit lag darin, dass der Schuldner in der Folge Gegenforderungen konstruiert hat. Konkret hat sich der Schuldner von mit ihm verbundenen Konzerngesellschaften prozessverfangene Forderungen dieser Konzerngesellschaften gegenüber dem Gläubiger abtreten lassen, mit denen der Schuldner in weiterer Folge gegenüber der Forderung des Gläubigers aufrechnete.
Auf diesen Unterschied bei der Entstehung der Gegenforderung hat der OGH auch ausdrücklich hingewiesen, jedoch seine Entscheidung vor allem darauf gestützt, dass der Insolvenzantrag in Rumänien (Sitz des Schuldners in Rumänien) gestellt wurde und daher selbst bei Anwendung des österreichischen Schadenersatzrechtes und damit auch der Rechtsprechung zur rechtsmissbräuchlichen Insolvenzantragstellung gemäß Art 17 Rom II-VO (VERORDNUNG (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht) für die Beurteilung einer Rechtsmissbräuchlichkeit faktisch und soweit angemessen die am Ort und zu dem Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung in Kraft stehenden Verhaltensregeln zu berücksichtigen sind. Unter Einbeziehung dieser rumänischen insolvenzrechtlichen Grundsätze konnte der Gläubiger in diesem Fall davon ausgehen, dass der Schuldner zahlungsunfähig bzw. überschuldet war.
Bei einem reinen Inlandssachverhalt (also einer Insolvenzantragstellung in Österreich gegen einen österreichischen Schuldner) hätte der OGH vermutlich trotz künstlich geschaffener „Strittigkeit“ der Forderung des Gläubigers ohne Hinzutreten von weiteren den Gläubiger entlastenden Umständen eine Missbräuchlichkeit bejaht.
Bei Bejahung der Rechtsmissbräuchlichkeit drohen dem Gläubiger Schadenersatzansprüche seitens des Schuldners.
Schadenersatz
Sollte der Schuldner aus einem rechtsmissbräuchlichen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch einen Gläubiger einen Schaden erleiden, kann der Schuldner den erlittenen Schaden vom Gläubiger fordern. Der Schaden kann sich beispielsweise aus den Kosten des Schuldners zur Abwendung der Insolvenzeröffnung (Steuerberater, Rechtsanwalt, Übersetzungskosten, usw…) zusammensetzen. Sollte das Insolvenzverfahren eröffnet werden, obwohl der Gläubiger tatsächlich nicht zahlungsunfähig ist – man denke nur an eine fehlerhafte Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes (genau das hat der Schuldner im gegenständlichen Verfahren 6 Ob 57/14x behauptet) – kann der Schaden durchaus eine beträchtliche Höhe erreichen, da ein einmal eröffnetes Insolvenzverfahren nur unter Einhaltung der insolvenzrechtlichen Bestimmungen wieder aufgehoben werden kann.
Ergebnis
Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass im Normalfall nur Gläubiger, die über eine unstrittige und fällige Forderung gegen den Schuldner verfügen, einen Insolvenzantrag ins Auge fassen sollten. Stets zu beachten ist zudem, dass Missbrauch auch vorliegt, wenn der Schuldner oder eine andere Person damit ungerechtfertigt unter Druck gesetzt oder ein verfahrensfremder Zweck erreicht werden soll.
Bei grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen mit Sitz des Schuldners im (EU-)Ausland besteht bei Einhaltung aller anwendbaren insolvenzrechtlichen ausländischen Bestimmungen und dem Fehlen von verpönten Absichten für die Gläubiger ein gewisser Spielraum, selbst bei strittigen Forderungen einen Insolvenzantrag ohne schadenersatzrechtliche Konsequenzen stellen zu können.